Wie wirtschaftlich war der Schlager 2023 wirklich?

Eine Betrachtung von Jörg Mandt (Buchautor: „Endstation Schlager“ und Team Gabis-Schlager.Club)

„Es hört doch jeder nur, was er versteht…“ , wusste schon Johann Wolfgang von Goethe, einer der bedeutendesten Schöpfer deutschsprachiger Dichtungen. 

Mir fällt dieses Zitat immer wieder ein, wenn ich die zahlreichen Pressemitteilungen und PR-Meldungen aus der Schlagerbranche lese. Oftmals sind diese Texte geprägt von Großsprecherei, Arroganz und Überheblichkeit. Schlager ist nun mal Fiktion, obwohl viele Songtexte die Gefühle in der realen Welt beschreiben sollen. Aber die Begleittexte zu Song- oder Album-Veröffentlichungen, zu Shows, Schlager-Events oder Tourneen lesen sich für mich immer wieder so, als hätte der Autor in einen „Märchenspiegel“ geschaut, indem nicht die Schlagerwelt beschrieben wird wie sie ist, sondern wie ein „Wünschdirwas“. 

Richtig! Schlager ist ein Gefühl und kein Wert. Aber einmal im Jahr ändert sich das. Immer dann, wenn der BVMI (Bundesverband Musik Industrie) sein Jahrbuch „Musikindustrie in Zahlen“ auf 60 Seiten veröffentlicht. Nun ist das Jahrbuch 2023 veröffentlicht worden und für den deutschen Schlager liest es sich leider alles andere als ein Märchen von den so oft in zahlreichen Schlagern beschriebenen emotionalen Glücksmomenten. 

Nun zu den Zahlen aus dem neuen Jahrbuch 2023.

Fakt 1: Die digitale Transformation ist inzwischen so gut wie abgeschlossen.

Das Ende der CD ist eingeläutet. Die Silberscheibe liegt begraben auf dem Friedhof, gleich neben der Blasmusik. 

Zwar hat sich der Branchenumsatz im fünften Jahr in Folge gesteigert auf nun insgesamt 2,21 Milliarden Euro. (Ein Plus von 6,3%). Verantwortlich für das Umsatzplus ist der digitale Markt (Streaming) mit 81,5 % Marktanteil.

CD-Alben haben nur noch einen Marktanteil von 11,3 Prozent – Tendenz weiter fallend!

Fakt 2: Die Hörgewohnheiten in Deutschland verändern sich weiter.

Bei den Älteren dominiert immer noch das Radio. Die Jüngeren hören Musik inzwischen hauptsächlich über Streamingdienste, Videostreaming oder Soziale Medien. In der Zielgruppe 55 bis 64 Jahre hören 42 % Radio. Bei den „Älteren“ sind übrigens Audio-Streaming und gekaufte Tonträger inzwischen auch gleichauf bei 17%.

Fakt 3: Schlagergenre nur bei den über 70-jährigen unter den Top 3

Bei der Musikgenre-Beliebtheit nach Altersgruppen taucht das Schlagergenre unter den Top 8 erst bei den 50 bis 59 Jahre alten Konsumenten auf. Allerdings mit 23% auf dem letzten Platz, geschlagen sogar von „Hard Rock und Heavy Metal“ mit immerhin erstaunlichen 27%. 

Trotz Partyschlager und frischem Popschlager ist nicht abzustreiten, das Genre „Schlager“ ist immer noch was für die Älteren. Das muss sich ändern, bevor das Genre nur noch in der Altersgruppe 70+ auftaucht.

Fakt 4: Schlager nur noch in den Album-Charts vertreten

Jährlich ermittelt „GFK Entertainment“ im Auftrag des Bundesverbandes Musikindustrie die 25 erfolgreichsten Titel des Jahres. In den „Airplay-Charts“, „Streaming-Charts“ und den „Single-Charts“ ist kein Schlagersong mehr vertreten. 

Anders bei den Albumcharts. Dort hat sich Roland Kaiser auf Platz 13 mit seinem Album „Perspektiven“ platziert. Gefolgt (Platz 14) von Santiano mit „Doggerland“ und immerhin noch auf Platz 25 steht Helene Fischer mit ihrem Album „Rausch“.

Fakt 5: Gesamtumsatz 2023: Schlager und Volksmusik so niedrig wie nie

Die Repertoire-Segmente Pop und Hip-Hop dominieren die Umsatzzahlen. Das Schlagergenre liegt nur noch bei 3 % und mit 0,3% am Gesamtumsatz spielt die Volksmusik so gut wie keine Rolle mehr.

Rückblick: Vor 10 Jahren lagen die Marktanteile von Schlager noch bei fast 6 % und Volksmusik bei 2,8 %. 

Sterben die „alten“ Schlagerfans bald aus. Es scheint so, denn galt einst das Altbewährte als Standard, an dem sich jede Neuerung messen lassen musste, so muss sich heute das Alte bewähren. 

Das Schlagergenre braucht mal wieder einen echten „Doppel-Wumms“, damit sich endlich wieder was dreht und jüngere Zielgruppen erobert werden. Und das funktioniert nun mal nicht ausschließlich mit „Ballermann“ typischen Sauf- und Sexsongs. Obwohl der „Partyschlager“ gerade bei jüngeren Zielgruppen boomt, nicht nur in den in den „Feier-Tempeln“ an der Playa de Palma. In großen TV-Sendungen findet der Partyschlager so gut wie nicht statt, vielleicht noch mal im Reality-TV oder im „archaischen“ ZDF-Fernsehgarten mit Sängern und Sängerinnen, die seit Jahren nicht mehr im „Bierkönig“ oder „MegaPark“ aufgetreten sind. 

Hat sich die „Condicio humana“ gegenüber dem Schlager geändert? Ist nun der Zauberspiegel „so wünsche ich mir die schöne Schlagerwelt“ zerschlagen? Man kann einwenden, dass die oben genannten, nackten Zahlen und Statistiken keinen Schaden anrichten, weil den Schlager sowieso niemand mehr ernst nimmt.

Doch der Schaden entsteht auf zwei Ebenen, erstens nimmt damit auch die immer noch wachsende Anzahl von Schlager-Künstlern, Autoren und Texter niemand mehr ernst. Was zweitens bedeutet, das das Musikgenre Schlager auch im TV, Radio und bei Veranstaltern immer weiter an Gewicht verlieren wird.

Betrachten wir das Ende dieser kleinen Erzählung wieder mit einem Goethe-Zitat: „Jeder Augenblick ist von unendlichem Wert“. 

Also, feiern wir gemeinsam den Schlager auch in 2024 weiter. 

Wer alle Zahlen nachlesen will, hier der Link zum BVMI Jahrbuch 2023:
https://www.musikindustrie.de/fileadmin/bvmi/upload/06_Publikationen/MiZ_Jahrbuch/2023/MiZ_2023_E_Paper_2024_geschuetzt.pdf

Fotos und Grafiken: ZDF, ARD, Sony Music, BVMI – (Bundesverband Musikindustrie)

Text: Jörg Mandt (Autor Endstation Schlager und Team Gabis-Schlager.Club)