Ein Essay von Jörg Mandt (Buchautor „Endstation Schlager“ und Team Gabis-Schlager.Club)
Frage: Woran erkennt ihr, dass ihr wirklich verliebt seid?
Antwort: Alle Schlager ergeben plötzlich einen Sinn.
Das Thema „Liebe“ in allen ihren trivialen oder komplexen Facetten gehört auf jede Bucket List eines Schlagerkünstlers und Songtexters. Wer in den ersten 5 Jahren seiner Karriere nicht über das berühmte Kribbeln im Bauch, also das Verlieben, über Trennung, Lust, Fremdgehen, Sehnsucht nach der alten Liebe, verschmähte junge Liebe, Liebeskummer und der anschließenden Resilienz der Gefühlskrise einen mehr oder weniger inspirierenden Schlager gesungen hat, ist lange noch nicht am Ende seiner gesteckten Karriereziele.
Ein kurzer Blick auf die Single-Veröffentlichungen vom letzten Freitag zeigen uns, rund 90 Prozent der Songs beschäftigen sich mit dem Thema Liebe. Ob Sonja Liebing mit „Hemmungslos“, Ute Bresan mit „Liebe ist die beste Idee“, Mark Keller mit „Manchmal ist Liebe nicht genug“, Team Fünf mit „Für die Ewigkeit“ oder das Wolle Petry-Cover „Verlieben, verloren, vergessen, verzeihen“ von Daniel Munoz sind dafür nur einige Beispiele. Fazit: Unser Herz ist eine Drehtür. (Wäre doch auch mal ein guter Songtitel)

Aufgefallen sind mir drei Songs, die sich inhaltlich mit anderen Themen beschäftigen. VoXXclub singen in ihrem Happy-Schlager „Perfektes Team“, über die positive Verbindung zwischen Band und ihren Fans. „Sagt, seid ihr dabei? Wir fühlen uns frei. Sind alle ein Teil. Was schwer war, wird leicht…“

Alexandra Hofmann besingt in „Hier kommt Alex“ den (vielleicht ihren eigenen) Wendepunkt einer Frau an der Tür zum Herbst ihres Lebens. Die jetzt noch einmal durchstartet. „Aufstehen, Krone richten, nie auf Kalorien verzichten. Nicht perfekt und voll am Start“. Schade, das dem Pressetexter dazu nicht mehr eingefallen ist als „…ein sehr persönlicher Song mit krachenden Drums und treibenden Stromgitarren.“
In „Around Around“ besingt Viktoria Mila, dass die Welt uns viele Farben schenkt und nicht nur Schwarz und Weiß. Im Leben geht es im Moment für viele Menschen und auch der Sängerin bergab und bergauf und sie nimmt viele Dinge in Kauf. Vieles was wir wollen wird nicht mehr passieren, nur wer verzichten kann hat auch gelernt zu verlieren. Aber wir machen das Beste daraus.
Für mich ist dieser Schlager auch eine Momentaufnahme und ein Stück musikalischer Zeitgeist vom aktuellen Deutschland.
Denn es kommt ein Punkt in unserem Leben, da müssen wir aufhören, uns vorzumachen, dass alles so verläuft, wie wir es uns wünschen. Dass die Dinge so sind, wie sie wirklich sind. Weil eben Realismus auch keine Gloriolen wirft!
Diese Songs mit den Themen Teamgeist, Neustart und Momentaufnahme sind vielleicht auch ein Stück unterhaltende Schlagerstrategie Ende September 2023. Nicht mehr aber auch nicht weniger.
Politik und Schlager sind wie der Teufel und das Weihwasser oder um es weniger sakral und schlager-affin auszudrücken wie Feuer und Eis. Der Schlager war inhaltlich schon immer politisch. „Griechischer Wein“ von Udo Jürgens von 1974 war ein Song über die ersten Gastarbeiter. „Hey Boss, ich brauch mehr Geld“ von Gunter Gabriel ist in einer Zeit von Preisexplosionen und steigender Inflation so aktuell wie nie. Der Song hätte augenblicklich einen anständigen Remix verdient liebes Team von Stereoact oder DJ Herzbeat.
Zu Beginn der 1980er-Jahre erreichen die Proteste der deutschen Friedensbewegung ihren Höhepunkt. Mit US-Präsident Ronald Reagan zieht 1981ein Kalter Krieger ins Weiße Haus ein. „Ein bisschen Frieden“, der Klassiker von Nicole aus dem Jahr 1982, hat heute mit dem Ukrainekrieg und der schwellenden Kosovo-Krise noch immer seine Daseinsberechtigung.
Im gleichen Jahr veröffentlicht der Sänger Hans Hartz mit markanter rauer Stimme seinen ersten Hit „Die weißen Tauben sind müde“. „Komm her und schenk uns noch mal ein. Denn so wie heut wird´s nie mehr sein. Marie, die Welt reist von der Leine!“
Mary Roos träumt 2002 davon, dass alle Menschen Brüder werden. Sie fragt sich „Gibts auf dieser Welt nicht viel mehr als Macht und Geld?“ Nur knapp drei Jahre zuvor erfüllte eine gewisse Annalena Baerbock ihren Traum. Sie gewann für den TSV Pattensen die Bronze-Medaille bei der Deutschen Meisterschaft im Trampolinturnen.

Und ich erinnere mich zurück an das Jahr 1968, Schlagersängerin Alexandra sang mit „Mein Freund, der Baum“ der ersten grünen Schlager, eine Art „Hymne des neuen Öko-Zeitalters“. Das war übrigens ein Jahr vor der Geburt von Robert Habeck!
Wie nah die „Political Correctness“ und das politische Inkorrekte beieinanderliegen, belegt ebenfalls ein Schlager von Alexandra, der nur ein Jahr zuvor 1967 von ihr veröffentlicht wurde – „Zigeunerjunge“. Diese Veröffentlichung wäre heute „Schlagerselbstmord“, rassistisch und diskriminierend und sofort auf der „Black List“ sämtlicher TV- und Radiosender. Tam ta ta tam tam ta tam tam ta tam!

Der Schlager ist selbstverständlich auch heute noch politisch. Kerstin Ott und die als sakrosankt geltende Helene Fischer singen das Duett „Regenbogenfarben“. Ein erfolgreicher Hit und die neue Hymne der medial wachsenden LBGTQXYZ-Bewegung.
SPD-Unterstützer Roland Kaiser hält 2015 bei einer Anti-Pegida-Kundgebung in Dresden eine bewegende Rede über Stolz auf die Migration aus Krisengebieten als Zeichen der Demokratie. Auf der Konzertbühne aber ist er Entertainer, sagt er, und dort gelte: „Ich halte keine Reden über richtige und falsche politische Entscheidungen.“
Im selben Jahr veröffentlicht Andreas Gabalier auf dem Album „Mountain Man“ den Song „A Meinung haben“. Textauszug (auf Hochdeutsch): „Was ist das bloß. Wo kommt des her. Neue Zeit, neues Land. Wo führt des hin? Wie kann das sein, dass ein paar Leute glauben, zu wissen, was ein Land so will. Ist das der Sinn einer Demokratie? Dass einer was sagt, und die anderen sind still. Eine Meinung haben, dahinter stehen.“
Im letzten Jahr veröffentlich der Grazer Superstar den Schlager „Liebeleben“ und wirbt darin für Toleranz von sexuellen Minderheiten. Eine LGBTQ-Botschaft zum „Pride Month“.

In „Frieden“ besingt Nik P. seine persönlichen Gefühle und Ängste. Er will mehr als mit geducktem Kopf überleben. Und wenn die Tagesschau kommt, dann schaltet er ganz schnell weg. Da geht es ihm so, wie vielen Menschen in diesen Zeiten. Schlechte Nachrichten einfach ausblenden.
Der Schlager war selbstverständlich immer schon ein Spiegelbild der gesellschaftlichen Strömungen. Das wird sich auch in Zukunft nicht ändern. Künstlerinnen und Künstler sind auch nur Menschen, die genauso wie ihr Publikum mit Glücksgefühlen und Ängsten wie wir alle Leben müssen. Über Letzteres wird aber in der Öffentlichkeit nur selten geredet. Denn ihr Leben ist inzwischen ein digitales Aquarium. Sie leben, um ihren Herzen Risiken auszusetzen. Und das Letzte was sie wollen, ist irgendwann einmal zu sagen: „Hätte ich nur!“
Was aber, wenn immer mehr politische Einflüsse von außen kommen. Eine Satire-Partei unterbricht die Oktoberfest-Ausgabe des „ZDF Fernsehgarten“. Cancel Culture bei Florian Silbereisen. In seiner Show wird der Hit „1000 und 1 Nacht“ von Klaus Lage umgeschrieben, weil im Text die Erinnerung an den inzwischen belastenden Begriff „Indianer“ vorkommt.
Und dann ist da noch der Antipode Heino, der auf Promotour für sein neues Album „Heino singt Mickie Krause“, politisch korrekt „Lieder meiner Heimat“ beim Frühstücksfernsehen von SAT.1 gegen das Gendern und Sprachverbote wettert. Das „alte Zirkuspferd“ Heino weiß um den Wert einer guten Schlagzeile und sagt live: „Denen haben sie ins Gehirn geschissen“. Die Folge ist eine Win-Win-Situation: Heino bekommt seine Schlagzeilen und das woke SAT.1 löscht die Sendung aus ihrer Mediathek. Ja, wenn das „Commitment“ fehlt…
Der Fußball ist ja schon lange politisch, wir erinnern uns an die WM in Katar und die öffentlichen Diskussionen um Regenbogen-Kapitänsbinde der Nationalmannschaft oder an den Mannschaftskapitän Joshua Kimmich, der sich nicht gegen Corona impfen lassen wollte.
Was also, wenn Klimakleber medial aufmerksamkeitsstark die Eingänge zur nächsten Helene Fischer Tournee blockieren? Dann bleibt dem Deutschen Schlager nur noch das Thema Liebe.
Und Achtung Satire! Muss Peter Maffay im nächsten Jahr auf seiner Abschiedstour vor dem Song „Es war Sommer“ einen Warnhinweis auf sexuelle Nötigung abgeben. Denn schließlich war sie 31 und er erst 16 – es war ein schöner Tag, der letzte im August und er wusste über die Liebe noch nicht viel!

Zum Abschluss möchte auch ich mich hier von Roger Whittaker verabschieden. Wir haben deine Lieder geliebt, mehr als Worte es zu sagen vermögen. Du hast bei einem persönlichen Treffen mir einmal aus deinem Song „The Last Farewell“ zitiert: „Ich fürchte mich nicht vor dem Tod. Er bringt keine Sorgen.“ Aber wie bitter ist für uns dieser letzte Abschied.
© Bildnachweise: VoXXclub: Pressefoto Universal Music, Pressefoto Alexandra Hofmann: Adrian Bedoy, Plattencover Alexandra: Philips, Karussell, Nik P. : Pressefoto Universal Musik, Heino: SAT.1, Roger Whittaker (privat)
Gabis-Schlager.Club sagt vielen Dank für diesen tollen Artikel lieber Jörg Mandt (Buchautor „Endstation Schlager“ und Team Gabis-Schlager.Club)