Ein Essay von Jörg Mandt (Buchautor „Endstation Schlager“)
Wird es Nacht in Schlager-Deutschland? Deine Bühne ist bereitet, die Setlist deiner Songs optimiert, der Soundcheck war 1A mit Sternchen. Mit den ersten Takten deines neuen Songs stürmst du in die Hände klatschend auf die Bühne. Dann der Schock, die Halle ist nicht einmal zu einem Viertel mit Fans gefüllt. Der Schlageralbtraum! Ein dystopisches Zukunftsszenario, vor dem sich viele Künstlerinnen und Künstler fürchten. Und glaubt mir, noch mehr Veranstalter!
Für einige Live-Events in der Schlager-Branche wird es schon im nächsten Jahr deutlich schwieriger, noch wirklich wirtschaftlich zu arbeiten. Die Preise für Energie, Werbung, Technik, Location-Mieten, Personal und Security explodieren. Und auch die stetig steigenden Künstlergagen können künftig nicht mehr einfach mit den Ticketpreisen an die Besucher weiter gegeben werden.
Der Rubikon ist bereits überschritten, die Preisspirale nach oben läuft auf Hochtouren und ist im Moment nicht mehr rückgängig zu machen. Es ist ein bisschen so wie bei „Bares für Rares“, jede/r probiert wie weit er seinen Preis nach oben treiben kann. Nur Schlagerkünstler sind im Moment alles andere als rar…
„Ist dies schon Wahnsinn, so hat es doch Methode“, lässt Shakespeare den Polonius in seinem „Hamlet“ sagen. Für die Künstler ist es durchaus legitim, zu sehen, was der Markt preislich noch so hergibt – ist in der Fußballbundesliga ja nicht anders. Was aber wenn, wie es in den Gemüsemarkt-Abteilungen bekannter Discounterketten zu beobachten war, die Gurken plötzlich 4,99 Euro das Stück kosten? Sie bleiben liegen. Selbst hartnäckige Gurken-Fans machen eben nicht alles mit. Und Schlagerfans sind eher an den Discounterkassen zu finden, als an der Delikatessentheke im Feinkostladen…
Um es einmal im Börsenjargon zu verdeutlichen: Künstlergagen sind zurzeit noch ein wachsender „Bullenmarkt“. Aber der „Bärenmarkt“ wird garantiert bald kommen und die Gagen werden dann wie Ramsch-Aktien fallen. Einige werden bei diesem Crash auf der Strecke bleiben, starke Künstlermarken davon profitieren.
„Eine Investition in Wissen bringt immer noch die besten Zinsen“, lehrte uns schon der großartige Benjamin Franklin.
Ein genervter Veranstalter hat mir neulich von folgendem Telefonat mit einem Booker berichtet: „Wir hatten uns endlich über eine 45 % Preiserhöhung der Künstlergage geeinigt. Da forderte er noch 1000 Euro Reisekosten für rund 350 Kilometer als „zweite verdeckte“ Gage ein.“
Ich antwortete dem Booker, der Künstler bekommt von uns eine faire Gage und das „Deutschland-Ticket“ für 49 Euro, spart CO2 und er kann bequem per Bahn reisen. Fazit: Kein Vertrag zwischen Künstler und Veranstalter!
Bereits in diesem Sommer gab es eine Reihe von Event-Absagen der Veranstalter aus „produktionstechnischen Gründen“. Selbst im noblen Kitzbühel, wo das Publikum kulinarisch doch eher auf Feinkost gebrieft ist, wurde jetzt auch die „Schlagerparty“ u.a. mit Michelle, Semino Rossi und den jungen Zillertalern abgesagt. Aber Produktion und Technik sind doch die Kernkompetenzen eines Veranstalters wie Singen, Show und Entertainment die eines Schlageracts.
„Findet das viel gepriesene Schlagerevent 2024 überhaupt statt, oder muss ich meinem Ticketgeld hinterherlaufen?“, werden sich einmal enttäuschte Fans fragen. Denn neben dem Geld investieren sie auch in die Planung und Organisation ihrer Freizeit. Und die ist, wie wir alle wissen, ein sehr kostbares Gut.
Veranstaltungen, die sich über Jahre in Verlässlichkeit, Planung, Durchführung und ein vernünftiges Preis-Leistungsbewusstsein als Marke aufgebaut haben, stehen für die neue „Schlager-Nachhaltigkeit“. Denn die Fans wissen, das wird keine Zitterpartie. In einer Krise profitieren starke Marken, lehrt uns die Wirtschaft und das ist auch im Schlagerbusiness nicht anders. Künstler sehen sich zunehmend als Marken und müssen in Marketing und Markenaufbau investieren, um sich künftig in einer überfüllten Schlagerlandschaft zu behaupten.
Einige Künstler gehen mutig „all-in“ und werden selbst zu Veranstaltern ihrer eigenen Konzerte. Und plötzlich wechselt die Perspektive. Werden genügend Tickets mit dem Programm verkauft? Behördenauflagen, Bürokratie, Marketing, Preise für Technik, Security nehmen dann neue Prioritäten ein. So bleibt es oftmals beim One-Event-Wonder oder einfach nur „Endstation Schlager“.
Auf eine Herausforderung, die sich die Eventbranche vielleicht schon in diesem Winter erneut stellen muss, möchte ich hier gar nicht weiter eingehen. Sie fängt mit „Co“ an und endet auf „rona“. Erste Medien und natürlich Prof. Karl Lauterbach machen schon Alarm. Hoffentlich ein Fehlalarm.
Eine weitere Herausforderung für das Schlagergenre wird die digitale Transformation: Die Digitalisierung hat die Musikbranche bereits stark verändert und wird dies auch weiterhin tun. Streaming-Dienste haben den Verkauf von physischen Tonträgern und Downloads weitgehend abgelöst. So haben jetzt beispielsweise die Draufgänger („Cordula Grün“) bekanntgegeben, mit „Mädchen & Märchen“ ihr letztes Album zu veröffentlichen. Aus, Ende und Trennung? Nein, sie werden auch künftig gut gelaunte Stimmungskracher in Lederhose veröffentlichen. Aber eben nur noch digital. Denn die kleinen Silberscheiben sind Geschichte, wie FAX, öffentliche Telefonzellen, Nachtspeicheröfen und bald auch Gasheizungen. Relikte aus einer zumindest für Künstler besseren Zeit.
Es ist eben nicht mehr 1998 und nicht jeder in der Branche hat anscheinend das Memo bekommen. Es war die Zeit, als ein Sozi-Kanzler noch maßgeschneiderte Brioni-Anzüge aus Kaschmir für 5.000 Mark getragen hat. Wie damals James Bond oder Fußball-Gott Franz Beckenbauer. Statt wie heute große abgewetzte Ledertasche.
Die KI (Künstliche Intelligenz) wird die Branche verändern. Noch macht sie Texter und Komponisten nicht arbeitslos. Aber gebt mal bei „Chat.Openai“ die Frage nach einem Ballermann-Songtext ein. Mit den wichtigsten drei Zutaten: „Malle, Party und Saufen“ und ihr werdet überrascht sein, über die „Qualität“. Und bei „MusicGen“ bekommt ihr dazu die passend KI-generierte Musik als MP3-Datei.
Auf dem anstehenden Hamburger Reeperbahnfestival für Musik und Pop-Kultur wird es schon ein Thema sein. Das „Dynamic Pricing“ bei Veranstaltungen. Eine KI-gesteuerte Software legt die Ticketpreise auf Grund der Nachfrage durch einen Algorithmus fest. Wir kennen und akzeptieren das bereits in der Reisebranche bei Hotel- und Flugpreisen oder im Online-Handel.
Wer früh sein Ticket bucht, erhält einen günstigen Preis. Je weniger Tickets es noch für die Veranstaltung gibt, desto höher steigen dann die Preise. Bei beispielsweise Taylor Swift in den USA kosteten die Tickets 1.000 Dollar und bei Musiklegende Bruce Springsteen sogar bis zu 5.000 Dollar pro Eintrittskarte. Man stelle sich das einmal bei unseren Schlager-Topstars Helene Fischer und Roland Kaiser vor!
Das Dynamic Pricing wird auch bei uns kommen. Zuerst bei Pop, Rock und Metall und irgendwann dann auch im Schlager-Genre. Eine ganz andere KI-Software steckt noch in den Kinderschuhen der Entwickler. Sie berechnet, wie erfolgreich eine Künstlerin oder ein Künstler Tickets verkaufen wird. Das ist dann bei Schlagerevents mit vielen Künstlern im Programm interessant. Man gibt alle potentiellen Namen in die Software ein und erhält dann als Ergebnis ein Schlager-Barometer, ähnlich dem aus den Medien bekannten der Politiker. Und danach werden zukünftig die Booking- und Gagenverhandlungen ablaufen. Für die zahlreichen Newcomer bringt digitale Transformation in den nächsten Jahren sicher keine Verbesserung.
„Einige von ihnen benehmen sich wie große Stars, die aber noch nichts geleistet haben und die keiner kennt“, rechnet „Altstar“ Bernhard Brink in einem Interview mit den jungen Talenten der Branche im Südkurier ab. Er ist dann aber doch so ehrlich nachzureichen: „Ich möchte heute nicht mehr als Sänger anfangen müssen und bin echt froh, dass ich seit fünf Jahrzehnten bis heute Erfolg, einen Plattenvertrag und Auftritte habe.“
Viele Newcomer haben heute schon vor dem ersten eigenen Song und einem Mini-Programm bereits einen Manager und eine Booking-Agentur. Aber was sollen die eigentlich den Veranstaltern verkaufen, außer heiße Luft? Es fehlt die solide Basis.
In meinem Buch „Endstation Schlager“ habe ich das in einem Gespräch zwischen einem jungen Talent und dem alten Zirkuspferd der Showbranche, dem Manager Jack, so beschrieben. Frage vom Manager: „Und hast du schon an Songs gearbeitet und an einem Schlager-Programm und einem authentischen und glaubwürdigen Markenauftritt für deine zukünftigen Fans?“ Antwort vom Newcomer: „Nein, aber es wird auf alle Fälle mega!“
Flieger starten gegen den Wind, nicht mit ihm. Im Schlager ist das eigentlich nicht anders. Und ich wiederhole es hier gerne noch einmal: „Liebe junge Talente, probiert gerne eure Grenzen und etwas Neues aus. Es nimmt euch keiner übel, wenn ihr am Anfang eurer Karriere euren neuen musikalischen Stil finden möchtet. Und dafür „Learning By Doing“ euch ausprobiert, mal bitte was anderes als Mee-Too-Atemlos.
Ich werde die Gespräche mit ihm bei einem Glas Weißwein nie vergessen. Udo Jürgens war zweifelsohne ein bekennender Schlagersänger. Aber einer, der in seinen Schlagern ironisch-witzig, manchmal frech und kritisch und leicht sentimental auf das tägliche Leben der Menschen geschaut hat. Heute geht es fast ausschließlich nur noch um Liebe in allen abgegriffenen Facetten und üblichen Klischees in den Songtexten, erste – zweite oder neue Liebe, Trennung, Eifersucht. Erinnerungen an schöne Momente.
Sind Hit-Klassiker wie „Aber bitte mit Sahne“, „Ehrenwertes Haus“ oder „Griechischer Wein“ heute noch möglich, oder ist der Schlager schon zu politisch geworden. Lieber triviale Banalitäten veröffentlichen, als emotionale Momentaufnahmen des aktuellen Zeitgeists verarbeiten? Nein, Schlager festigt doch die Demokratie! Denn Schlager schafft etwas, was in diesen Tagen oftmals verloren gegangen ist: Das Gemeinschaftsgefühl und die Verbundenheit unter den Party- und Konzertbesuchern, die ihre Liebe zu der Musik teilen.
Ein historisches Zeitgeist-Beispiel ist der Song „America“ von Simon & Garfunkel, wo sich zwei Menschen mit dem Greyhoundbus auf einen Roadtrip begeben. Auf der Suche nach ihrem „Amerika“ und sie entdecken im Song, das auch Millionen andere auf dieser Suche sind. Und sind wir im Moment nicht auch auf einer Suche, nach dem richtigen Weg in unsere Zukunft?
Ich würde mir für alle Newcomer einen „amerikanischen Weg“ bei uns wünschen. In der Musikstadt Nashville in Tennessee gibt es in einer Straße mehr Live-Musikclubs mit „Open Mic“-Tagen, als in ganz Deutschland. Hier können sich junge Talente mit drei bis fünf Songs ausprobieren und eine Fanbase erspielen. Macht sich eine junge Künstlerin oder Künstler so in der Stadt einen Namen, gibt es Bookings und eigene Showauftritte gegen größere Gagen. Und dann auf in die nächste Stadt, nach New Orleans, New York oder LA.
Ed Sheeran, einer der erfolgreichsten Künstler der Welt, ist so übrigens mit Straßen- und „Open Mic“- Auftritten angefangen, bevor er dreimal hintereinander das Londoner Wembley-Stadion ausverkauft hat. Oder dreimal das Olympiastadion in München mit über 200.000 Besuchern.
Mein Wunsch an Politik, Behörden und Bürokratie-Deutschland. Schafft mehr echte kleine „Open Mic“- Clubs und -Kneipen. Und damit Möglichkeiten für den kulturellen Musiknachwuchs. Egal ob im Pop, Rock oder Schlager.
Auch dieses Essay wird die Branche selbstverständlich nicht ändern. Aber sollte es nur einen Künstler oder eine Künstlerin zum Nachdenken bewegen, hat es seinen Dienst erfüllt. Kia Kaha – sei stark!
Fotocredits: Pressefoto Michelle– Universal Music/Anelia Janeva | Pressefoto @diedraufgänger.de | Pressefoto Bernhard Brink /Universal Music | Udo Jürgens & Autor Jörg Mandt /privat
Text: Jörg Mandt (Team-Gabis-Schlager.Club)