Die zweite Chance im Leben – Andy Borg hat sie verdient und von einem, der keine mehr bekommt

Ein Essay von Jörg Mandt (Autor vom Buch „Endstation Schlager“) 

Schlager-Fans sind Romantiker, Menschen mit gebrochenem Herzen, Märchenleser und Hoffnungsträger mit dem grenzenlosen Vertrauen in die Illusionskraft der Seele. Sie glauben fest an die zweite Chance im Leben. Und dieser Glaube wird auch in zahlreichen Song-Lyrics ausführlich beschrieben. Kim Fischer zum Beispiel macht es direkt in ihrem Schlager „Zweite Chance“ und besingt ihre Liebesgefühle wie folgt: „Vielleicht haben wir ne zweite Chance. Vielleicht können wir es hinbekommen“

Frank Lukas weint aktuell im Song „So viel mehr“ um seine Ex. Und wünscht sich eine zweite Chance für seine große Liebe.

Und auch Andrea Berg wurde bereits tausendmal belogen und trotzdem würde sie es wieder tun mit ihm, denn er war der Wind in ihren Flügeln!

Wolle Petry erinnert sich an seinen Tiefpunkt, der Stunde null in „Verlieben, verloren, vergessen, verzeihen“. Er möchte seiner Ex verzeihen und ihrer Beziehung die berühmte zweite Chance geben. 

Geburtstagskind Michael Holm dreht sich noch einmal nach ihr um und erkennt in „Tränen lügen nicht“, ein verlorenes Herz bleibt für immer leer. Er reicht ihr schließlich wieder die Hand und verzichtet auf seine kostbare Freiheit. 

Die zweite Chance in der Liebe – selbst alle Schlager-Agonistiker sind überzeugt von dieser Kraft, die in den oben genannten Songs und hunderte mehr beschrieben wird. 

Aber wie sieht es in der Schlager-Realität wirklich mit der zweiten Chance aus? In einer Branche, die ich in meinem Buch „Endstation Schlager“ so beschrieben habe. „Ein Genre, das von Liebe, Gänsehaut und Leidenschaft erzählt, aber hinter den Kulissen keine Nächstenliebe kennt.

“Einer, der sich für mich und Millionen Zuschauer eine zweite Chance auf eine große ARD-Show wirklich verdient hat, ist Andy Borg. Nach dem „Musikantenstadl“ abgeschoben ins dritte Programm, holt er dort beim SWR regelmäßig mit seinem „Schlager-Spaß“ sensationelle TV-Quoten. Für mich hat Andy Borg von den „Unterhaltungsexperten“ der ARD die Chance auf eine große bundesweite Sendung verdient. Nicht nur als Gast, damit Feigenblatt und Quotenbringer für die ältere Zielgruppe in einer Florian Silbereisen-Show. Zumal sich die Zielgruppe der unter 50-Jährigen sowieso immer weniger für lineares TV entscheidet. 

Der „Stadl“, ein Wort aus der Zeit als noch Magd und Knecht „hip“ waren, darf dabei gerne auf dem Friedhof der beerdigten TV-Shows vergraben bleiben. In einer Zeit, in der Schulden salopp als „Sondervermögen“ medial vermarktet werden, sollte doch ein frisches Konzept und Wording für den TV-Liebling Borg möglich sein. Gerne auch ohne die üblichen rasanten Kamera-Kran- und Drohnenfahrten, blitzende Movingheads und Skybeamer, die die Besatzung der ISS aufschrecken lassen. 

Vielleicht mal wieder was mit Inhalt? Und im Keller des Senders wird sich doch irgendwo noch eine kleine Showtreppe finden, über die der beliebte Moderator aus Thyrnau als Running Gag zum Show-Opening nach unten „stolpern“ darf. So ganz ohne Zeitgeist, dafür mit viel Herz und Authentizität – Andy Borg eben!

Auch andere haben eine zweite Chance verdient. Kiwi und ihr „Mallorca Fernsehgarten“ beispielsweise. Der hat zwar Dank aus deutscher Sicht versemmelter Frauenfußball-WM im „Vorprogramm“, die schlechtesten Quoten des Jahres eingefahren. Mein Wunsch für die Zukunft: Bitte gebt den wirklichen aktuellen Malle-Songs, die quer durch Deutschland und am Ballermann hoch und runtergespielt werden eine Chance. Und nicht Uralt-Songs aus der „Kammer des Schreckens“. 

Ob die TV-Redaktion von Kiwi nun ein „Scheiß drauf“ in ein „Pfeif drauf“ umsingen lässt, ist für den Peter Wackel-Song inhaltlich nicht wirklich tragisch. 

Anders sieht das schon mit der Semantik vom Udo Jürgens Song „Aber bitte mit Sahne“ aus. Denn hier geht es im Text um den ungezügelten Genuss von Zucker- und Kalorienbomben, die schlussendlich zum Tod der vier Songprotagonistinnen Mathilde, Ottilie, Marie und Liliane führen. 

Roland Kaiser hat das Original in seinem Udo Jürgens Medley im TV gesungen. „Kaisermania vor dem Aus“ titelte ein paar Tage später eine Boulevardzeitung, deren Redakteure wahrscheinlich auf ihrer Kurzwahl-Tastatur F1 bis F5 die Worte „Drama, Schock, Inferno, Mega und Kane zu Bayern“ abgespeichert haben. 

Roland Kaiser und Dresden ist eine Symbiose, die passt. Er moderierte gekonnt den zuletzt umstrittenen Opernball für den MDR und hat mit seiner „Kaisermania“ am Flussufer für ein touristisches und wirtschaftliches Highlight in der sächsischen Elbmetropole gesorgt. Auch ganz ohne Milliarden-Subventionen aus dem Wirtschaftsministerium. Und so wird trotz des auslaufenden Vertrags vom Veranstalter, Entertainer Roland Kaiser sicher von Dresden seine zweite Chance bekommen. 

„Sustainbility“ ist ein großes Wort, das ich in letzter Zeit auch immer häufiger in unserer Schlagerbranche höre. Übersetzt heißt es Nachhaltigkeit. Und nirgendwo ist diese Nachhaltigkeit wichtiger als bei der Fan-Base eines Künstlers.

Denn die Fans sind die eigentlichen Könige im Schlagergeschäft. Sie entscheiden ob und für wen sie ihre hart verdienten und gesparten Euros ausgeben. Sie verehren den Schlagerkünstler, heben sie oder ihn auf einen Thron und lassen ihn dann genau so schnell wieder fallen. Wenn sie merken, dass ihr Star nur eine weitere Luftnummer ist. 

Und so sind wir bei seiner Exzellenz Michael Wendler, der zumindest im Moment wohl keine zweite Chance mehr bekommen wird. Nicht einmal auf Kreta in Griechenland. Nach Fan-Protesten und Abfuhr vieler gebuchter Künstler und Künstlerinnen wurde nun sein Comeback bei der Eventreise „Schlager unter Palmen“ gleich ganz abgesagt. 

Wir lernen: Leisetreterei bringt zwar keine Aufmerksamkeit, sondern markante Sprüche. Was aber wenn wir das tägliche „Bombardement“ der markanten Sprüche in den Medien leid sind? Ist die Sehnsucht nach Leisetreterei dann nicht groß und damit sind wir am Ende auch schon wieder bei Andy Borg und seiner von mir geforderten zweiten Chance. Gebt sie ihm!

Fotocredit: Andy Borg: © swr, Roland Kaiser: © Pressefoto Semmel Concerts/ Frank Embacher, Michael Wendler: ©Pressefoto H. Niesing, Frank Lukas © Gabis-Schlager.Club