Deshalb haben wir Textdichter TOBIAS REITZ (BIOGRAFIE Tobias Reitz, Jahrgang 1979, ist
einer der gefragtesten Textdichter im deutschsprachigen Schlager. Er schrieb für Florian
Silbereisen, Stefanie Hertel oder Roland Kaiser – seine erfolgreichsten Texte entstanden für Helene Fischer. Gemeinsam mit Edith Jeske leitet er die Textdichter-Masterclass Celler Schule. Außerdem ist er Stellvertretender Präsident des Deutschen Textdichter-Verbands
und Aufsichtsrat der GEMA. Reitz lebt in Düsseldorf) gebeten, Antworten auf die Antworten zu geben:
- Schlager sind nur für ältere Menschen: Dieses Klischee besagt, dass junge Leute keine Schlager hören, sondern nur ältere Menschen, die nostalgisch an vergangene Zeiten zurückdenken.
Eine Behauptung, die in die gleiche Kerbe schlägt wie das Label konservativ. Schlager hatte immer schon die Funktion, ein Alltags-Aufheller zu sein – häufig für ältere Menschen und diejenigen, die nach Halt und Trost suchen. Nach meiner Beobachtung gibt es inzwischen eine große junge Publikumsschicht, die vom Schlager Tanzbarkeit und Partytauglichkeit erwartet. Schlager ist für diese Musikfans eines von mehreren geliebten Genres. Das Motto: Unter der Woche Pop, am Wochenende Schlager.
- Schlager sind oberflächlich: Dieses Klischee besagt, dass Schlagerlieder oft keine tiefgründigen Botschaften haben und nur oberflächliche Themen wie Liebe und Party behandeln.
Auch dieses Klischee gibt es schon immer: Schlager = Liebe und Heile Welt.
Ich glaube, die Triebfeder des Schlagers – wie des Musikmachens überhaupt – ist die Sehnsucht. Lieder wurden immer geschrieben, weil etwas fehlte. Und natürlich sind die stärksten Sehnsüchte die nach Liebe und einer guten Welt, dicht gefolgt von Themen wie Leichtigkeit, Trost, Selbstbestimmung, Freiheit, Spaß. All diese Themen sind Kernthemen des Schlagers. Selbst eine Party ist Ausdruck einer Sehnsucht, nämlich der nach Gemeinschaft und Vereinfachung.
- Schlager sind peinlich: Dieses Klischee besagt, dass es peinlich ist, öffentlich zuzugeben, dass man Schlager hört oder gerne Schlagermusik mag, da dies als uncool oder unmodern gilt.
Als ich in den 1990ern Teenager war, war es so. Ich habe das Gefühl, die Gesellschaft hat sich entspannt. So richtig cool wird Schlager wohl nie werden (jedenfalls nicht ohne Ironisierung); da geht es ihm wie Country Music in den USA – oder wie der GEMA, die als Inkassogesellschaft wohl auch nie der beliebteste Verein Deutschlands werden kann…
Früher hat sich die junge Generation auch aus Gründen der Abgrenzung den Rock’n’Roll, den Punk oder Rap gesucht: Man wollte die Alten schocken, ihnen den musikalischen Stinkefinger zeigen. Da steht die junge Generation vor einem Problem: Ihre Eltern (und teilweise Großeltern!) waren schon Rock’n’Roller, Punker oder Rapper. Den größeren Schock können Kids heute erzielen mit einem Satz wie „Mama, Papa, ich geh auf‘s Helene-Fischer-Konzert.“
- Schlager sind nur für Partys geeignet: Dieses Klischee besagt, dass Schlagermusik nur auf Partys oder Feiern gespielt wird und dass sie als Musikrichtung außerhalb dieser Kontexte keine Relevanz hat.
Er wandert heute mehr und mehr in die Party-Richtung, während es in den 80er-, 90er und 00er-Jahren (im Grunde bis zu „Atemlos“) eine florierende Balladen- und Midtempo-Kultur im Genre gab, die von Autoren und Kreativteams wie Jean Frankfurter/Irma Holder, Ralph Siegel/Bernd Meinunger, Rudolf Müssig/Christoph Leis-Bendorff, André Franke/Joachim Horn-Bernges, Hanne Haller, Alfons Weindorf oder Michael Kunze am Leben gehalten wurde. Ganz ehrlich: Im aktuellen Schlager vermisse ich deren Klasse.
- Schlager sind kitschig: Dieses Klischee besagt, dass Schlagermelodien und -texte oft übertrieben sentimental sind und eine “rosarote Brille”-Sichtweise auf die Welt haben.
KITSCH kenne ich nicht. Ich nenne das „Mut zum großen Gefühl“. In KITSCH steckt mir zu viel „KI“.
Quelle: GEMA / virtuos
Foto: Tobias Reitz (c) Ben Knabe (Rohschnitt)