Wieviel Talfahrt kann der Schlager wirklich verkraften?


Ein Essay von Jörg Mandt (Autor „Endstation Schlager“)

Wer schon einmal eine mehrstündige Bergtour in den Alpen gemacht hat, der hat sicher erlebt, wie anstrengend und manchmal auch gefährlich der Weg nach oben sein kann. Und ich spreche hier nicht von der Besteigung der über 8000-Meter-Berge „K2“ oder „Mount Everest“ mit Sauerstoffgerät. 

Auch bei einer „normalen“ Bergtour hat jeder das Ziel immer vor Augen: Der Gipfel! Das motiviert ihn, das treibt an und macht oftmals letzte Kräfte frei, um einmal das Gefühl „Ich bin ganz oben und dem Himmel so nah“ live zu erleben.

Dieses Bild trifft auch für die Schlagerkarriere zu, keiner will immer nur im Tal bleiben. Ehrlich, jede Künstlerin und jeder Künstler träumt doch von so einer abenteuerlichen Gipfeltour. Schlagersingen ist ein Rucksack. Darin befindet sich Überlebensnotwendiges, aber bergauf wird er schwer. Was lässt man also zurück, was braucht man doch, was ist unverzichtbar? Vor diesen Fragen stehen viele Newcomer in der Branche. Und da ist ein guter Scout als Tip- und Ratgeber auf dem Karriereweg nach oben einfach unerlässlich. 

Aber wo findet man so einen erfahrenen Schlager-Sherpa, der den Newcomer durch alle Windungen und Widerstände zum ersehnten Karrieregipfel führt. Wirklich gute Manager sind in der Branche so selten, wie ein Yak am „Kahler Asten“ im Sauerland. Denn der moderne Manger ist heute Psychologe, Kaufmann, Steuerberater, Medienprofi, Anwalt, Steuerberater, kreativer Ideengeber oder zumindest kluger Sparringspartner, Stylingprofi und ja, manchmal sogar auch Kofferschlepper. 

Außerdem hat er in seiner Smartphone Kurzwahl mindestens die privaten Handynummern von 12 bis 20 wichtigen Bookern, Textautoren wie Tobias Reitz, TV-Machern wie „Papst“ Michael Jürgens oder zumindest die von Oli und Claudia. Er kennt die Marke der Haferkekse, die in dem Konferenzraum in München-Schwabingen angeboten werden und er schreibt sich auch noch nachts WhatsApp-Nachrichten mit  den CEO’s von Universal, Sony und BMG (Telamo). Es gibt nur wenige „Manager“, die zumindest einige dieser Vorraussetzungen erfüllen. Auch wenn sie keine Karriere-Garantie sind.

Eines aber ist für alle gewiss: Runter kommen sie irgendwann alle. Die eine oder der andere schneller und mancher kann sich über Jahre am Gipfelkreuz mit der wetterfesten Gravur „Schlagerstar“ halten. Wie beispielsweise der Hobby-Bergsteiger Andreas Gabalier. 

Die Talfahrt für viele im Schlager-Genre hat begonnen – zumindest im Konzert- und Live-Geschäft. Habe ich vor ein paar Wochen noch an dieser Stelle darüber berichtet, wie gut sich noch Tickets für Party- und Mallorca-Events verkaufen und für Festivals mit großen Schlager-Namen als Headliner, so lesen sich die Schlagzeilen der Festival-Absagen aus wirtschaftlichen Gründen wie Alarmzeichen und distopische Vorboten auf das was da bald noch kommt. 

Hier nur einige Beispiele: Das „Lolly Pop“-Festival ist abgesagt. Angekündigt waren Namen wie Mia Julia, Julian Sommer, Marie Reim, Anna-Maria Zimmermann, Blümchen, Die Atzen, Oli P. und am Sonntag als Stargast Ben Zucker. Ebenso abgesagt, das „Joyned Sounds“-Festival mit Schlagerkultbühne, auf der so gewichtige Namen wie Howard Carpendale, Nino de Angelo, Eric Philippi, Sonia Liebing oder Mike Leon Grosch auftreten sollten. 

Bei Oldenburg hat der Veranstalter beim „Tabularaaza“-Festival die Reißleine gezogen. Angekündigt waren auf der „Live Stage“ beispielsweise Beatrice Egli, Dieter Bohlen, Amigos, Vincent Gross, Oli P. oder die Schlagerpiloten. Mit Adiletten geht man nicht auf Bergtour! Auch in Augsburg war nichts mit Ballermann. Die „Mega-Malle-Party“ auf dem Gaswerk-Areal wurde ebenfalls gestrichen. Künstler wie Mickie Krause, Isi Glück, Lorenz Büffel, DJ Robin & Schürze („Layla“), Ingo ohne Flamingo und viele andere wurden auf dem Plakat angekündigt.

Viele der Künstlernamen abgesagter Festival-Events tauchen auf dem Line UP großer Schlager-TV-Shows auf. Ist eine massive TV-Präsenz plötzlich auch kein Garant mehr für den erfolgreichen Ticket-Abverkauf?

Insider und Entscheider der Majors wissen schon lange, war früher ein guter TV-Auftritt in einer Samstag-Abendshow die Garantie für Albumabverkäufe mit Goldstatus in der Folgewoche nach Ausstrahlung, ist das schon seit vielen Jahren nicht mehr so. Da nützt es eben auch nichts, neben einem Feuerwerk der Stars das gigantische Abschlussfeuerwerk „Kitzbühel in Flammen“ aus den mit Gebühren finanzierten Geldern der Zuseher zu zünden. Ein choreografierter Raketen-Farbenrausch am Alpenhimmel für eine Schlagersendung, der den Eröffnungsfeierlichkeiten einer Olympiade oder WM optisch in nichts nachstehen musste. „Nachhaltigkeit“ geht anders, lieber MDR. 

Zu wenig Ticketverkäufe und finanzielle Schieflagen einiger Veranstalter werden zusehends immer mehr. Die Absagen häufen sich. Kein Wunder. Wirtschaft, Wachstum, Wohlstand und der Wendler waren eigentlich für die Medien immer eine erfolgreiche Reichweitengarantie. Was aber wenn sich alle aus Deutschland verabschieden?

Der normale Schlager-Fan hat einfach weniger Geld in der Tasche und spart für Heizkosten im Herbst und Winter und einen gefüllten Kühlschrank mit teurem, frischem Obst und Gemüse statt sich ein Ticket für ein Schlager-Event zu leisten. Genau wie beim Rucksack am Berg, muss sie/er genau überlegen, was ist für mich wirklich unverzichtbar und auf was muss ich jetzt erst einmal verzichten. Prioritäten für das (Über)Leben werden gesetzt. Und da bleibt nun mal das Hobby „Schlager“ auch mal auf der Strecke. 

Das Risiko für Veranstalter wird immer größer. Technik, Service, Security, Werbung und auch die Künstlergagen werden sprunghaft teurer und Behördenauflagen und die Bürokratie immer umfangreicher. Wie ich in der ZEIT vor ein paar Tagen lesen konnte, fordert Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) neue Änderungen im Konzertbetrieb ein. Schutzbereiche für Frauen, Frauenbeauftragte bei Konzerten und sogenannte „Awareness-Teams“ sollen schnell und konkret realisiert werden. Die Kosten dafür muss der Fan dann sicher mit noch teureren Ticketpreisen zahlen.

Die Folge: Viele weibliche Fans kommen dann gar nicht mehr, nicht aus Angst vor Sexismus bei einem Schlager-Konzert, sondern wegen der für sie unerschwinglichen Ticketpreise. Die vielzitierte „German Angst“ geht wieder um und Schlager ist nun mal auch typisch Deutsch. Arroganz und Egodenken im Umgang unter Künstlern ist nicht nur eine unsympathische sondern auch eine gefährliche Eigenschaft. Das Wort „Solidarität“ stammt aus der Arbeiterbewegung der Jahrhundertwende. Ich wünsche mir von allen Künstlerinnen und Künstlern eine neue „Schlagersolidarität“, die auf gemeinsame Werte basiert. Das bedeutet auch mal die Preispolitik und Verantwortlichkeit für Veranstalter zu überdenken und eventuell anzupassen. Denn sonst geht die Talfahrt im nächsten Jahr rapide weiter und es heißt für viele im Schlager-Business dann wirklich „Endstation Schlager“. 

Das ist wahrscheinlich nur ein Wunsch, der unerfüllt bleibt, in diesem Musikgenre, dass von Liebe und Glücksgefühle singt, aber hinter den Kulissen keine Nächstenliebe kennt. Denn in Wahrheit haben hier die Gefühle Schweigepflicht! Aber man wird doch noch mal träumen dürfen. 

Und zum Abschluss hier noch einmal das Bild von der Bergtour. Bitte nicht neidisch werden, weil einer am Karriere-Berg ein paar Meter weiter vorne ist, sondern zeigt Teamgeist und denkt frisch nach vorne. Sonst kann auch der, der von oben fällt, die anderen darunter mit in den Abgrund reißen… 

Fotohinweise© Bildnachweise Gabalier:  Pressefoto: BR – Michael May mit Akkordeo: Servus TV Ben Zucker und Howard: Pressefoto Universal Music,Jörg Mandt Privat