Ein Essay von Jörg Mandt, Buchautor von „Endstation Schlager“
![](https://gabis-schlager.club/wp-content/uploads/2023/06/Portrait-Mandt-939x1024.jpeg)
Vor einigen Tagen habe ich jemanden gefragt, wie er eigentlich zum Schlager steht? Er überlegte kurz, schüttelte den Kopf und gab mir dann folgendes Zitat wieder: „Ich hab’ ein’ Delfin in meiner Bauchtasche. Und mein Pferd, wenn ich nicht aufpasse, frisst dem Delfin aus meiner Bauchtasche seine Suppe weg – alles klar?“
Nein, er war und ist kein Schlager-Fan, kennt aber den Refrain aus dem sich anbahnenden Sommerhit „Delphin“ von Isi Glück & Honk aus dem Megapark am Ballermann. Die Song-Lyrics sind sicher keine feuilletonistische Glanzleistung, aber das sollen sie auch nicht. Der Song soll unterhalten und auch bei Urlauber-Schluckspechten, wie meinem Gegenüber, hängen bleiben. Mission erfüllt.
Hinter dieser Szene verbirgt sich auch schon das Probleme mit dem Image des Schlagers, der ständig darum kämpfen muss, aus einem vielfach geächteten Genre ein geachtetes Genre zu machen. Auf der Party oder im Urlaub ist es nach ein paar Gläsern plötzlich doch ganz cool auf Schlager abzufeiern oder Klassiker wie „Michaela“, „Anita“ , „Noch niemals in New York“ oder „Joana“ anzustimmen.
Und da wird auch der sonst so hippe Chai-Latte Schlürfer, E-Scooter-Fahrer mit Messenger Bag und MacBook Air aus dem stylischen Workspace zum heimlichen Schlager-Fan. Denn sonst gehört es für ihn zum guten Ton, sich vom Schlager zu distanzieren. Auch wenn er Krauses „Schatzi, schenk mir ein Foto“ oder „Warum hast du nicht nein gesagt“ vom Duo Kelly & Kaiser ansatzlos mitsingen kann.
Der Schlager ist besser als sein Ruf und ein vielfach unterschätzter Musikmarkt. Das belegt jetzt ebenfalls eine Studie vom Düsseldorfer Marktforschungsinstitut „Innofact“. Die vom ehemaligen Gute Laune TV-Geschäftsführer Marko Tomazin initiiert wurde. Die Musikwoche (Ausgabe 24) hat in ihrem Schlager Dossier Teile der Studie exklusiv veröffentlicht.
Die Zahlen der Studie sprechen für sich: Knapp über 70 Prozent der Deutschen hören irgendwie Schlager, 21 Prozent sogar häufig. Damit belegt der Schlager gleich hinter Pop und Rock Platz 3 der beliebtesten Musikgenres.
![](https://gabis-schlager.club/wp-content/uploads/2023/06/Grafik-3-1024x771.jpg)
Schlager hat im Gegensatz zum häufig verbreiteten Narrativ durchaus einen guten Ruf. Es lässt sich nun wirklich nicht leugnen, dass durch die Pandemie und politisch erstarrte Gegensätze, wir zumindest von einer Spaltung in Teilen unserer Gesellschaft ausgehen können. Jeder, der täglich auf Social Media unterwegs ist, hat sicher schon festgestellt, dass es inzwischen nur noch Schwarz oder Weiß gibt. Keine Grautöne mehr, als Symbiose aus These und Antithese. Selbst wenn eine Sängerin oder ein Sänger nur mal wieder ihre harmlosen Napffotos, der BRAVO-Starschnitt der Neuzeit, vom letzten Abendessen postet, wird das kritisch diskutiert wie eine Bundeskanzlerwahl oder die Krise der deutschen Nationalmannschaft.
Schlager hat die große Chance, dieser Spaltung entgegenzuwirken. Denn er schafft die berühmten „Lagerfeuermomente“, ein Gefühl das inzwischen in unserer Gesellschaft rar geworden ist. Der Schlager wird generationsübergreifend gefeiert und dann plötzlich nicht mehr von den ewigen Besserwissern belächelt. Florian Silbereisen ist das teilweise in seiner „Schlagerbooom“ TV-Show gelungen, auch wenn manchmal bewusst fast nur noch glückliche junge Gesichter im Closed Up am Bildschirm zu sehen sind. Es zeigt, Schlager ist Freude, Heimat und Zusammengehörigkeit für Jung und Alt.
Denn der Schlager ist ein verbindendes Element. In der Studie haben 67 Prozent der Befragten (1000 Leute) angegeben, dass sie es gut finden, dass Deutsch gesungen wird. Und noch 62 Prozent sagen, dass Schlager für gute Stimmung sorgt. Dazu trägt selbst der „verruchte“ Partyschlager bei. Denn es ist die Generation Z, Menschen unter 30 Jahre, die diese Art von Schlager gerne hören. Diese Generation ist bereits die nachwachsende Zielgruppe, die sich in ein paar Jahren auf positive und emotionale Erinnerungen bei Songs wie „Delphin“, „Schatzi“ oder „Leyla“ besinnt.
![](https://gabis-schlager.club/wp-content/uploads/2023/06/Graphik-2-1024x754.jpg)
Es wird künftig auch eine Aufgabe der Schlager-Eventmacher sein, diese „Lagerfeuermomente“ in Veranstaltungen umzusetzen. Ein Blick in die Niederlande zeigt uns, dass das hier bei Musikevents schon gelungen ist. Wenn es uns wie in Holland gelingt, dass ein Popstar wie Guus Meeuwis in seinem Stadionkonzert einen Schlagersänger wie Frans Bauer auftreten und vom Publikum leidenschaftlich feiern lässt, dann sind auch bei uns die Kopfbarrieren zwischen Deutsch-Pop und Schlager endgültig eingerissen.
In Deutschland feiert beispielsweise die „Schlagerwelle“ unter dem Motto „Happy Together“ ein generationsübergreifendes Schlager-Festival an der Ostsee, das von Jahr zu Jahr mehr Fans in allen Altersgruppen findet. Dazu trägt der einzigartige Künstlermix aus Party-, Pop- und Klassikschlager bei.
In der Musikwoche kommen die Macher der Studie zu folgendem Fazit: „In einer Zeit, in der die Welt oft komplex und herausfordern erscheint, ist der Schlager vielleicht sogar eine Zuflucht, die die Deutschen in einer gemeinsamen Melodie vereint…“
Schöner könnte ich das auch nicht sagen, selbst wenn der Delphin diesmal dem Pferd die Suppe wegschlürft …
Text- und Grafiken: Jörg Mandt Die Grafiken sind die Zahlen von Innofact, das Design hat Jörg Mandt daraus gemacht