Ist unser Schlagerbusiness nun ein Bullen-oder Bärenmarkt? Ein Essay von Jörg Mandt

Die Wahrheit nervt, denn sie ist so verbindlich. Die Lüge oder ein Fake dagegen sind wundervoll, denn sie erfüllen unsere Sehnsüchte. Schlager und die oftmals darin besungene heile Welt ist sowas wie die Antimaterie zur Pop-Musik, bisher jedenfalls. Denn die Schubladengrenze, die Mauer in den Köpfen, zwischen dem neuen, modernen Schlager und der Pop-Musik ist in den letzten Jahren immer mehr gefallen. Aus einem bei vielen Musikliebhabern verachteten Genre ist inzwischen ein vielfach geachtetes Genre geworden. 

Wie steht es aber wirklich um die Schlagerbranche im hart umkämpften Musikmarkt? Ist aus dem noch vor ein paar Jahren gefeierten „Schlagerboom“ inzwischen eine „Schlager-Baisse“ geworden, um hier in der Sprache der Börsen- und Aktienmärkte zu bleiben? Wie sehen Umsätze und Zahlen wirklich aus? 

Eine passende Antwort darauf gibt uns der Bundesverband Musikindustrie (BVMI). Vor ein paar Tagen wurde sein Jahrbuch 2022 veröffentlicht. Ein jährlich erscheinender Report „Musikindustrie in Zahlen“. Wir haben uns aus Sicht der Schlagerbranche diesen Report einmal genauer angesehen. 

Zuerst das Erfreuliche für alle Musikschaffenden. Der Gesamtumsatz aus Verkäufen von CDs, Vinyl-LPs, Downloads und den Erlösen aus dem Streaming-Geschäft hat im letzten Jahr erstmals wieder die 2-Milliarden-Euro-Marke überschritten. Insgesamt wurden 2,07 Milliarden Euro umgesetzt. (Im Jahr 2002 waren es 2,21 Mrd. €). Im Einzelnen sind das 25,5 Mio Alben, 4,3 Mio Schallplatten, 19,4 Mio CD-Alben, 17,5 Mio Downloads und 177,8 Milliarden Streams. (Vor zehn Jahren 2013 waren es nur 5,9 MRD.). Das digitale Geschäft wächst weiter, nimmt inzwischen 80,3 % vom Umsatz ein.

Deutschland ist nach USA, Japan, Großbritannien auf Platz 4 der internationalen Musikmärkte. Gefolgt von China, Frankreich, Südkorea, Kanada, Brasilien und Australien. 

Wie steht es dabei aber um das Schlager-Genre. Wie hoch ist da der Anteil am steigenden Gesamtumsatz? Das Repertoiresegment „Schlager“ hat nur noch 3,1 % am Gesamtumsatz (im Jahr 2016: 5,3 %), Volksmusik nur noch 0,5 % (2016: 1,8 %). Bemerkenswert auch: Kein deutschsprachiger Titel ist unter den 100 beliebtesten Radiosongs des Jahres. 

Das Live-Geschäft ist hier nicht erfasst. Im Jahr 2022 wurden zahlreiche Konzerte nachgeholt, die in der Corona-Pandemie verschoben wurden. Das Neugeschäft auch in diesem Jahr ist durchwachsen. Einige Festivals und Konzerte laufen richtig gut, andere werden verschoben und abgesagt. Und keiner kann im Moment genau erklären, warum das so ist. 

Fakt ist, das Party-, Mallorca-Geschäft läuft mit den vielen jungen Zuschauern sehr gut. Im klassischen Schlagergeschäft, das sich schwerpunktmäßig an ältere Zielgruppen richtet, ist es für die Künstler und Veranstalter sehr schwer geworden.  Künstler, die inzwischen zu einer Marke geworden sind, haben es im Moment viel leichter als früher ihre Tickets zu verkaufen. Es sind, wie wahrscheinlich immer, mehrere Faktoren die zusammentreffen. 

Hat der Schlager nach einem Markt-Boom in den Jahren 2015 und 2016 jetzt seine „Zeitenwende“ erreicht. Die Cancel-Culture, das neue Maß der Dinge, hat auch unsere Branche erreicht, da wird jetzt nicht mehr „Cowboy und Indianer“ gespielt und wenn die Fans noch so viele Lassos rausholen. Jede Harmlosigkeit wird zum Hochverrat am Genderismus aufgeblasen. Es ist ein gespenstisches Ritual der Zerstörung immer neuer Lebensbereiche, selbst die heile und rosarote Schlagermärchenwelt hat dabei canyontiefe Risse bekommen. Das verunsichert.

Etablierte Künstlerinnen und Künstler, Newcomer der Branche, Booker und immer mehr Veranstalter fighten den täglichen Kampf ums Überleben. Die Schlager-Fans haben Ängste vor Krankheit, Krieg, Preisexplosionen bei Lebensmitteln, steigenden Klima- und Energiekosten. Sie stecken fest in einer Phase der Fassungslosigkeit. Für das anstehende Schlagerkonzert ihre Lieblingsstars bleibt das Portemonnaie dann schon mal zu. Das noch vor ein paar Jahren so stabile Geld ist verschwunden in einem Tsunami aus Staatsverschuldung und Gelddruckerei. 

Die Marktwirtschaft wird durch immer neue Verbote und Vorschriften bei Produktion und Finanzierung schrittweise außer Kraft gesetzt. Und während überall neue Opernpaläste in citynahen Toplagen mit Millionen Steuergeldern als Kultur-Kathedralen aufgebaut werden, wird der deutsche Schlager weiterhin mit keinem Euro subventioniert.

„Zeitenwende“ ist das viel zitierte Wort des Jahres, warum gibt es eigentlich noch keinen Schlager mit dem Titel „Zeitenwende“. Nicht politisch interpretiert, sondern die uns im Moment alles beherrschenden Alltagssituationen aufgreifend und Mut machend. Denn der Schlager hat seinen Hörern immer schon Hoffnung und Mut gemacht. Schlager war und bleibt ein Stück Eskapismus, die Flucht aus dem trostlosen Alltag und das glückserfüllte Wegträumen in eine bessere Welt. Typische Gänsehautmomente mit den Händen greifbar statt die bleischwere Depression blass und ausdrucksloser täglicher Job-, Familien- und Eheroutinen. 

Augen zu und leugnen kann für die nächsten Jahre nicht das Karrierekonzept aller Handelnden im Genre sein, auch wenn das vielleicht Sehnsüchte erfüllt. Der Schlager muss sich in den nächsten Jahren weiter entwickeln und besser aufstellen. Diese Wahrheit nervt, aber dann werden auch wieder die Marktanteile bei den Umsätzen der Musikindustrie steigen. 

Fotos Quelle: Jahrbuch 2022 Bundesverband Musikindustrie (BVMI)

Text: Jörg Mandt (Gastautor Gabis-Schlager.Club)